Kostenlos auf Lebenszeit

Dec 07,2020 at 05:39 pm By System

Laut eines Berichtes von Consumer Reports stellt der Drucker- und Tinten-Anbieter HP seinen Dienst „Free Ink for Life“ ein bzw. wandelt diesen in einen Bezahldienst um. Vor drei Jahren (2017) hat der Konzern seinen Kunden, die einen passenden Heim-Drucker erworben hatten, kostenlose Tinte versprochen. Die Grundbedienung: Pro Monat durften maximal 15 Seiten gedruckt werden. Außerdem ließ HP teilnehmende Geräte – ganz automatisch - eine Seite mit Werbeinhalten drucken, die jedoch nicht dem Gesamtkontingent angerechnet wurde. Ab Ende 2020 müssen Kunden 99 Cent für die 15 Seiten bezahlen. Wer mehr drucken will, zahlt einen US-Dollar für 10 weitere Seiten. Das teuerste Paket mit 1500 Seiten schlägt mit knapp 26 USD zu Buche.

Ganz egal, wie man nun zu HP steht (Ink-Stained Wretches: The Battle for the Soul of Digital Freedom Taking Place Inside Your Printer) und wie man den Service an sich bewertet, gibt es dennoch einige Aspekte an diesem Service, die es wert sind, angesprochen zu werden.


Werbebanner in Druckform
Für die Re-Finanzierung des „Free Ink for Life“-Services hat sich HP für Werbeanzeigen entschieden. Diese beinhalteten, wenn man den Kommentaren in Foren und unter Beiträgen von Webseiten Glauben schenken darf, Werbung für zeitlich begrenzte Sonderangebote auf HP Produkte abseits des Drucker-Portfolios oder machten auf neue Produkte aufmerksam, zu denen weiterführende Informationen dann über die Herstellerwebseite bezogen werden könnten. HP sah „Free Ink for Life“ in erster Linie also als eine Werbeplattform für die Vermarktung des eigenen digitalen Ökosystems, das Monitore, Notebooks, Zubehörartikel und weitere Produkte beinhaltet.

Der Kunde, der sich also zuvor bereits über HP, das Portfolio und „Free Ink for Life“ informiert hat, bekommt das „Angebot“, sich über HP und das Produktportfolio zu informieren. Für den Kunden ergibt sich aus dieser Art von Werbung kein Mehrwert und die ausgedruckten Inhalte landen unbeachtet im Papiermüll. Dabei hatte HP mit „Free Ink for Life“ eine Werbeplattform geschaffen, nach der Vermarkter wie beispielsweise Google, die Finger lecken.

Da jeder teilnehmende Drucker mit dem Internet verbunden ist, erhielt HP automatisch den groben Standort des Nutzers. Damit wäre eine direkte Verteilung von Rabattgutscheinen (wie diese in den USA üblich und sehr beliebt sind) möglich, wovon wiederum lokale Händler und auch die Kunden gleichermaßen profitieren.

 old printer

Mit einer vorhergehenden Erfassung der Interessengebiete einzelner Teilnehmer ließen sich auch personalisierte Werbeangebote ausspielen. Für Retailer stünde so ein weiterer Kanal für die langfristige Kundenbindung zur Verfügung.
 

  • Kinder und Nachwuchs
  • Garten und DIY
  • Auto und Motorrad
  • Spielzeuge
  • Nahrungsmittel und Restaurants
  • Möbel

 
Auch saisonale Themen können abgedeckt werden:

  • Kleidung und Schuhe
  • Freizeitgestaltung und Kultur
  • Reisen

 
Natürlich ist hierfür ein oder mehrere Werbe- sowie Affiliate Partner nötig, die die Inhalte aufbereiten, ausspielen und auswerten. Loyalty- sowie Cashback Systeme sind weitere Mittel, die dem Kunden einen Mehrwert bieten und für HP eine stabile Einnahmequelle darstellen können.

 

Auf Lebenszeit

Mit der Aussage "kostenlos auf Lebenszeit" hat die Marketing Abteilung von HP einen ziemlich beachtlichen Coup gelandet, denn der Name suggeriert sowohl einen absolut unentgeltlichen Service für den Kunden, der dann auch noch "für immer" bestehen bleibt. 

Ein Lockmittel, dass sehr häufig bei Free2Play Games vorzufinden ist und zu regelmäßigen Empörungswellen führt, wenn die Spiele-Server nach einigen Jahren abgeschaltet werden (EA To Shut Down Battlefield 1942, Battlefield 2, and Battlefield 2142 Online Services on June 30). Das Phänomen ist jedoch nicht nur auf die USA beschränkt - einem Land in dem auf Pappbechern mit heißem Kaffee die Warnhinweise stehen müssen, dass der Kaffee zu Verbrühungen führen kann und man den gefüllten Becher bitte nicht auf den Kopf stellen darf. 

 graveyard

Grundsätzlich gilt daher für alle Märkte weltweit: 

  1. Ein Service ist nur solange kostenlos, wie er für den Betreiber rentabel ist
  2. Rentabilität kann sowohl in Hinsicht auf die Re-Finanzierung, als auch das Brand-Building und das Brand-Establishing gewertet werden 
  3. Die Lebenszeit eines Angebotes wird durch den Anbieter selbst (in einzelnen Fällen und Branchen durch den Gesetzgeber), jedoch nicht (direkt) durch den Kunden bestimmt
  4. Es gibt keine Garantie auf die Fortführung eines Services (in einzelnen Fällen und Branchen gibt es Ausnahmen durch den Gesetzgeber)


Werbung kann durchaus auf die Akzeptanz der Kunden stoßen, wenn ihnen diese einen Mehrwert bietet. Advertising as a Service bedarf einer Menge Fingerspitzengefühls, hat im Vergleich zu klassischer Werbung jedoch auch das Potential den Endverbraucher langfristig zu binden. Eines der bekanntesten Mittel hierfür sind Newsletter. Aber auch (Blog-)Beiträge zu aktuellen Schnäppchen sind „Advertising as a Service“, in Verbindung mit Affiliate Marketing. Ähnlich verhält es sich auch mit Advertorials, die die Kompetenz einer Publikation mit Werbung verknüpfen und in die Form eines Werbetextes gießen. Ein solcher hat neben der Bewerbung eines Produktes auch den Schwerpunkt, den potentiellen Käufer zu informieren.

HP hatte mit „Free Ink for Life“ also durchaus Potential gehabt, einen eigenständigen Werbekanal zu etablieren, den Nutzer gerne genutzt hätten. Stattdessen hat der Konzern bestehende Kunden verärgert und mit dem Ende des kostenlosen Services vor den Kopf gestoßen. Es ist nicht das erste Marketing-Fettnäpfchen, in das HP tritt. Mit den Erfahrungen aus „Free Ink for Life“ kann der Drucker Hersteller jedoch sein Produktportfolio optimieren und an die Kundenwünsche anpassen. Zumindest in der Theorie.


Update:

"Die Beschwerden verärgerter Kunden und Händler sowie die öffentliche Kritik der Presse am Vorgehen des Herstellers haben HP dazu veranlasst, die Abschaffung des »lebenslangen Gratistinte«-Abos wieder rückgängig zu machen."

HP lenkt nach Protest ein
Lebenslange Gratistinte kommt zurück

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